11 Okt Die Macht des Unbewussten – das emotionale Erfahrungsgedächtnis
Es gibt unterschiedliche Ebenen und Zustände des Bewusstseins, die unser tägliches Leben begleiten. Dies gilt ebenso für unsere Wahrnehmung als auch für Gedächtnisinhalte, die letztendlich für unser Handeln und Verhalten relevant sind. Dabei hat die Forschung gezeigt, dass die unbewussten Prozesse im menschlichen Gehirn unser Bewusstsein stärker bestimmen als umgekehrt und Letzteres nur eine geringe Einsicht in die unbewussten Beweggründe unseres Erlebens und Verhaltens hat.
Unbewusstes und Vorbewusstes
Viele Dinge, die wir einmal erfahren und gelernt haben, sind zwar in unserem Gedächtnis verankert, uns aber aktuell nicht bewusst. In den meisten Fällen jedoch können sie durch Erinnerung in irgendeiner Form wieder bewusst gemacht werden. Bei einigen Gedächtnisinhalten allerdings ist dies nicht möglich. Dazu gehören zum einen alle unbewussten Vorgänge in unserem Gehirn, die prinzipiell nicht bewusst stattfinden und auch nicht werden können, wie z. B. Wahrnehmungsprozesse, die zu kurz oder zu schwach sind, um die Bewusstseinsschwelle zu überschreiten, oder alle subkorticalen vegetativen und limbischen Funktionen. Zum anderen zählen zum Unbewussten auch Wahrnehmungen, die einmal bewusst waren, jetzt aber nicht mehr erinnerungsfähig sind wie Inhalte, die nicht von unserem Arbeitsgedächtnis ins Langzeitgedächtnis gelangt sind und alles, was wir vor und in den ersten drei Jahren nach der Geburt erlebt haben.
Neben dem Unbewussten gibt es auch das Vorbewusste, dessen Inhalte ebenfalls nicht mehr oder nur schwer bewusst gemacht werden können. Dazu gehören alle Inhalte des deklarativen Langzeitgedächtnisses, die aktuell nicht bewusst sind, alle ins Langzeitgedächtnis verdrängten Inhalte, die sich einer Erinnerung widersetzen sowie alle Abläufe, die automatisiert und in das prozedurale Langzeitgedächtnis abgesunken sind.
Das unbewusste emotionale Erfahrungsgedächtnis
Von besonderer Relevanz in Zusammenhang mit persönlichen Veränderungsprozessen ist das unbewusste emotionale Erfahrungsgedächtnis. Auf dieser Ebene findet über die emotionale Konditionierung individuelles emotionales Lernen statt und es formen sich die unbewussten Anteile unseres Selbst. Das emotionale Erfahrungsgedächtnis bewertet alles, was wir tun und erleben nach den positiven und negativen Konsequenzen und speichert die Resultate in bestimmten subkortikalen Zentren des limbischen Systems ab: die Amygdala vermittelt die Verbindung zwischen Emotionen und Geschehnissen und das mesolimbische System registriert Belohnung und Bestrafung und errechnet daraus Belohnungs- und Bestrafungserwartung. Das mesolimbische System ist als zentrales Belohnungssystem über die Ausschüttung körpereigener Opioide zuständig für Empfindungen von Befriedigung, Lust und Freude. Ebenso ist es das grundlegende Motivationssystem, das über die Ausschüttung von Dopamin Belohnungen in Aussicht stellt und damit unser Verhalten motiviert. Der Hippocampus liefert dazu die nötigen Details der Geschehnisse und den räumlich-zeitlichen Kontext, sozusagen den autobiografischen Rahmen.
Diese Zentren bestimmen also in einem engen Zusammenspiel, was aus Sicht des Unbewussten und Vorbewussten anzustreben oder zu vermeiden ist. Es wird festgelegt, was wir aufsuchen und zu wiederholen versuchen, weil es mit Bedürfnisbefriedigung und Lust verbunden ist. Aber auch, was wir zu vermeiden und abzuwehren haben, weil es mit Bedürfnissteigerung, Schmerz und Unlust verbunden ist. Das emotionale Erfahrungsgedächtnis spielt somit eine entscheidende Rolle bei der Steuerung von Willenshandlungen. Letztlich sind es die unbewusst-emotionalen Zentren des Gehirns, die für das Entstehen von Wünschen und Handlungsabsichten verantwortlich sind und auch über ihre Umsetzung entscheiden.
Kommunikation von Unbewusstem und Bewusstem
Manche dieser unbewussten Emotionen können auch bewusst werden und gelangen dann in den orbifrontalen und ventromedialen Cortex (limbische Bereiche in der Großhirnrinde), der mit dem bewussten Abwägen der individuellen und sozialen Folgen und Aspekte möglicher Handlungen befasst ist, also mit der Frage, ob ein bestimmter Wunsch jetzt realisiert werden soll oder nicht. In dieser Phase des bewussten Abwägens kommt natürlich auch immer die kognitiv-rationale Ebene zu Wort, aber als intelligenter, neutraler Begleiter und nicht in der Funktion einer letzten Entscheidungsinstanz.
Von großer Bedeutung ist nämlich die Tatsache, dass unsere kognitiv-sprachliche Ebene nur wenige direkte Verbindungen zu den limbischen Zentren hat, umgekehrt aber stark von ihnen kontrolliert wird. Das erklärt, warum vernünftige Ratschläge und Einsichten allein nicht in der Lage sind, Menschen nachhaltig zu beeinflussen, während vor allem unsere unbewussten Emotionen starken Einfluss auf unser Denken und Handeln haben können.
Es sprechen also verschiedene unbewusste und bewusste Instanzen bei der handlungsvorbereitenden Entscheidung mit und dies oft in sich mehrmals wiederholende Schleifen: auf der rationalen, bewussten Ebene die zahlreichen Ich-Zustände (das rationale, das emotionale, das egoistische, das soziale Ich) und auf unbewusster Ebene die Amygdala, das mesolimbische System und die Basalganglien. Es liegt also ein multi-zentrisches Netzwerk vor, in dem niemand allein das Kommando hat, sondern in dem die Instanzen mit ihren jeweiligen Argumenten in einen Wettbewerb mit teilweise ungewissem Ausgang treten.
Fazit
Entscheidend in diesem ganzen Prozess ist, dass die unbewusst arbeitenden limbischen Zentren das erste und das letzte Wort haben: beim Entstehen der Wünsche und Pläne und bei der Entscheidung darüber, was jetzt tatsächlich – oft nach vielen Runden des Abwägens – getan werden soll. In den Basalganglien des subkortikalen limbischen Systems wird nämlich das dopaminerge Freischaltungssignal zur Steuerung und Hemmung unseres Verhaltens gegeben. Die Ebene unseres unbewussten Selbst ist aufgrund ihres hohen Einflusses somit die für das Psychische entscheidende Ebene und muss in ihren Wünschen berücksichtigt werden, wenn wir uns nachhaltig verändern oder Ziele langfristig erreichen wollen.
Quelle:
Coaching, Beratung und Gehirn (Gerhard Roth und Alica Ryba, 2016, Klett-Cotta)
Fühlen, Denken, Handeln – wie das Gehirn unser Verhalten steuert (Gerhard Roth, 2001, Suhrkamp)[/vc_column_text][/vc_column][/vc_row]