Wandern - Gegengift zur digitalen Entfremdung | anjahume.de
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Wandern – Gegengift zur digitalen Entfremdung

Wandern – Gegengift zur digitalen Entfremdung

Vor kurzem bin ich durch Zufall auf einen Beitrag des philosophischen Radios gestoßen. Eingeladen war Gerhard Fitzthum, der als Geisteswissenschaftlicher und professioneller  Wanderführer in einer Person das Wandern als ein mögliches Gegengift zur digitalen Entfremdung sieht.

Ich gehe mit vielen der angesprochenen Aspekte konform, so dass ich einige davon hier aufgreifen und mit meinem eigenen Worten wiedergeben möchte.

Was bedeutet digitale Entfremdung?

Bezogen auf das menschliche Individuum ist Entfremdung ein Prozess, in dem wir uns von uns selbst entfernen und – unter anderem – an den eigenen Bedürfnissen vorbeileben. Doch was hat die digitale Welt damit zu tun?

Vielleicht fragst du dich selbst einmal, wie es dir geht, wenn du mehr Zeit im digitalen anstatt im realen Raum verbringst. Wenn du an 4 von 5 Tagen alleine im Home-Office sitzt und andere Menschen ausschließlich auf deinem Monitor siehst, anstatt leibhaftig mit ihnen zu sprechen und ihnen dabei direkt gegenüber zu stehen, vielleicht mit ihnen in einem gleichen Raum zu sitzen und gemeinsam dort zu arbeiten? Und nicht nur das. Stell dir vor, es geht am Abend weiter. Du bist zu müde, um aktiv rauszugehen, schaust Fernsehen, hast ein Zoom-Meeting mit entfernt wohnenden Freund:innen, kommunizierst über Whatsapp oder verbringst deine Zeit anderweitig mit deinem Handy in den sozialen Medien. Wie fühlst du dich nach einem solch beispielhaften Tag – spürst du dich als Teil einer realen Welt – spürst du dich selbst?

Wir haben einen Körper, der nicht nur dazu da ist, den Kopf durch die Gegend zu tragen

In der heutigen Zeit vergessen wir oft, dass wir nicht nur denkende, soziale Wesen sind, die ihre Bedürfnisse digital befriedigen können, sondern auch eine räumliche Ausdehnung haben, nämlich in Form unseres Körpers. Unser Körper und die damit verbundene Psyche haben ebenfalls ein Grundbedürfnis. Das Bedürfnis, mit der räumlichen Welt um uns herum in Beziehung zu treten. Eine Welt, deren Teil wir sind – ob wir dies nun realisieren oder nicht. Es ist somit entscheidend für unsere Lebendigkeit und Vitalität, in aktiver Wechselwirkung mit dieser räumlichen Welt zu stehen und eine Beziehung zu ihr zu unterhalten.

Je weniger wir dieses Grundbedürfnis nun (achtsam) wahrnehmen und befriedigen, desto schlechter geht es uns, aber die wenigsten führen es darauf zurück, dass sie zu wenig in Kontakt treten mit einem lebendigen, natürlichen Umfeld. Denn Digitalisierung wird uns rundherum als etwas Positives verkauft und sicherlich ist sie auch ein großer, nicht mehr wegzudenkender Zugewinn. Mittlerweile sind wir allerdings an einem Punkt angekommen, an dem es anfängt, zu kippen. Warum zum Beispiel, leiden die Menschen zunehmend an psychischen Erkrankungen? Eine Hypothese: der Körper und sein Bedürfnis nach Bewegung und Wechselwirkung mit seinem Umfeld wird zu sehr vernachlässigt.

Wie Bewegung und Rausgehen uns helfen kann

Bewegung im Raum – sei es nun drinnen oder draußen, alleine oder gemeinsam mit anderen Menschen – bedeutet Wahrnehmung mit allen Sinnen. Neben dem Hören, Fühlen, Sehen und Riechen nehmen wir bewusst oder unbewusst unseren Körper in Bewegung wahr (Kinästhesie). Diese Wahrnehmung ist das, was Emanuel Kant Verstand nennt. Wir brauchen unseren Körper und müssen ihn spüren, um vernünftig zu werden, zu uns kommen, uns real und lebendig zu fühlen.

Wenn wir dieses Erleben durch die zunehmende Digitalisierung untergraben, untergraben wir unsere Menschlichkeit. Dabei geht es nicht darum, die Digitalisierung zu verteufeln, sondern lediglich darum, wieder in eine Balance zurückzufinden. Wenn wir als Mensch das nicht leisten, was wir eigentlich leisten können und zu uns gehört, verlieren wir unseren inneren Kompass. Dazu gehört auch unsere Bewegungsfähigkeit, unsere Körperlichkeit und auch – ganz wichtig – unsere Orientierung im Raum. Eine interessante These: Jemand, der nicht mehr weiß wo er ist, weiß irgendwann auch nicht mehr, wer er ist (spannend, da mal drüber nachzudenken).

Wandern als Gegengift zur Virtualisierung des Daseins

Glücklicherweise spüren die meisten Menschen irgendwann intuitiv, dass sie raus müssen. Sie sind in Not und werden verrückt am „nicht in der Welt sein“. Eigentlich bleibt uns gar nichts anderes übrig, als rauszugehen auf unseren eigenen Füßen und eine Verbindung aufzunehmen mit der Natur.

Dies erreichen wir ganz bestimmt nicht, indem wir mit dem Auto durch die Natur fahren. Selbst Fahrradfahren ist nicht das Gleiche, als wenn wir zu Fuß gehen. Wenn wir wie beim Wandern in unserem eigenen Tempo durch die Natur schreiten, sind wir durch nichts mehr abgetrennt von der Welt, wir spüren den Boden unter unseren Füßen, erden uns. So können wir wirklich entschleunigen und uns einlassen auf das, was die Gegend uns bietet.

Wie sich Zeit durch Gehen auf wunderbare Weise ausdehnt

Wenn wir wandern, ist dies ein eigendynamischer Prozess des Gehens, bei dem wir 700 Muskeln und 150 Sehnen bewegen. In jeder Bewegung verbinden wir uns mit dem Boden und stoßen uns wieder ab. Wir öffnen uns einem neuen Zeitgefühl und 1 Tag kann sich anfühlen wie 3. Wir tauchen ab in ein komplett anderes Erleben, in dem wir nicht nur unser Umfeld wahrnehmen, sondern vor allem uns selbst.

In dieser Fülle an Wahrnehmungen wird jeder einzelne Körperzustand abgespeichert – Schritt für Schritt, Meter für Meter. Sich auch nur einem Moment gedanklich auf dieses Erleben einzulassen sollte deutlich machen, dass es bei Wandern schier unmöglich ist, nicht in Kontakt mit sich selbst zu kommen, wieder Nähe zu sich und der Welt aufzubauen.

Wandern auf Rezept?

Nach Fitzthum könnte regelmäßiges Wandern somit eine Art Schadensbegrenzung in einer digitalisierten Welt darstellen, die als gesundes, wohltuendes Korrektiv  zu einem funktionalistischen Alltag dient und von den Krankenkassen subventioniert werden sollte.

Und hier geht es zum ganzen Beitrag auf WDR 5: „Wandern als Gegengift zur digitalen Entfremdung”.